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Festvortrag: |
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Johannes Brahms: Impulse für Winsen |
von Martin Teske |
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Endlich ist uns Winsenern ein Licht aufgegangen. Jenes
Licht,
das uns signalisiert, dass neben Johann Peter Eckermann
ein weiterer Großer in unserer Stadt geweilt hat: Johannes Brahms. |
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Der Lions Club Winsen hat sich mit der Brahms-Gedächtnistafel
in der Deichstraße bleibende Verdienste gesichert. |
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In Winsen hat Brahms als Junge im Konfirmandenalter
die Tochter
des Papierfabrikanten Adolf Heinrich Giesemann kennen gelernt,
und der Kontakt zwischen ihm und Elise Giesemann hat über
Jahrzehnte Bestand gehabt. Im Alter hat Brahms Elises Tochter
zurückgegeben, was er an Fürsorge und liebevoller Zuwendung
von Familie Giesemann empfangen hat. |
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Deshalb möchte ich mich in meinem Vortrag darauf
beschränken,
was Brahms hier in Winsen während dreier Sommeraufenthalte
erlebt hat und - mindestens ebenso wichtig - was er von hier mitgenommen hat. |
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Die Geschichte beginnt mit einer Geschäftsreise
des Herrn Giesemann, Papierfabrikant und Besitzer eines Bürgerhauses
mit wunderschönem Garten in der Deichstraße. |
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Das heutige Haus in der Deichstraße
16 mit Gedenktafel.
Hier stand das Giesemannsche Haus.
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Der Geschäftsmann ist auf der Höhe seiner
Zeit, fährt regelmäßig aus geschäftlichen
Gründen nach Hamburg, und er verbindet das Nützliche
mit dem Angenehmen,
gönnt sich nach seinen Verhandlungen gern einen Schoppen an
der Alster und genießt dort die Salonmusik. |
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In einer Musikpause kommt Giesemann mit Vater
Brahms, der den Kontrabass streicht,
ins Gespräch, und der Musiker klagt dem Unternehmer sein Leid
mit dem Sohn,
der trotz angeschlagener Gesundheit in anderen, großenteils
verräucherten Gaststätten
musizieren und damit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen
muss. |
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Trotz dieser ärmlichen Verhältnisse
hat der junge Brahms einen ausgezeichneten Lehrer:
den Hamburger Komponisten Eduard Marxen. |
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So gilt er schnell in Fachkreisen als hoffnungsvolles
Talent, aber die finanziellen Verhältnisse der Familie sind
beengt, und von einem Erholungsurlaub kann schon gar keine Rede
sein. |
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Giesemann lädt Sohn Johannes
zu sich nach Winsen ein, damit er sich in dem Städtlein an
der Luhe erholen könne. Der Vater nimmt dankbar an. |
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Staunend lernt der arme Hamburger Junge in der
kleinen Winsener Welt die Zeit des bürgerlichen Individualismus
kennen,
und der junge Mann reift während seiner Sommeraufenthalte
1846 und 47 in Winsen so weit, dass er sich hier auf sein
erstes Klavierkonzert vorbereiten kann.
Sein erstes Konzert gibt er am 21. September 1848 in Hamburg und
spielt dort auch erstmals ein eigenes Stück. |
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Die Landluft tut dem Jungen gut, die Nähe
zu Elise, ein Jahr jünger als Johannes, ebenfalls. Zwischen
beiden entwickelt sich eine
innige Freundschaft. Gemeinsam erkunden sie die Landschaft. Brahms
"erlebte hier, mit Staunen, Glückseligkeit und tiefem
Aufatmen, Natur als Ganzes, als tragendes Element des Lebens.
Sie blieb von
da an untrennbar von seiner Lebens- und Schaffensweise
und wurde der spürbare Hintergrund vieler seiner Werke",
schreibt Brahms-Biographin Karla Höcker.
Trotz der Ausflüge findet Brahms genügend Zeit, sich
musikalisch auszuformen. Einmal in der Woche fährt er weiterhin
nach Hamburg,
um sich bei seinem Lehrer Eduard Marxen fortzubilden, und was er
dort lernt, gibt er sogleich an Elise weiter, die ebenfalls Klavier
spielt. |
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Der Winsener Papierfabrikant hat offenbar einen
Narren an seinem musikalischen Gast gefressen, er ermöglicht
ihm und seiner Tochter
den Besuch von Theater und Oper in Hamburg. In Winsen stöbert
Johannes in der Bibliothek des Superintendenten Karl Heinrich Wilhelm
Krause. Er vertieft sich in die mittelalterliche Geschichte von
der schönen Magelone, einer neapolitanischen Königstochter
in einem
Heldenroman des 16. Jahrhunderts, auf die er 1861 die ersten vier
seiner Lieder schreiben soll. |
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In der Stadt spricht sich das wundersame Talent
des jungen Brahms schnell herum. Amtsvogt Conrad Heinrich Blume
lädt ihn
zum gemeinsamen Musizieren ein, auf einem Ausflug nach Hoopte dirigiert
er den dortigen Männerchor. Schon wählt ihn der
Männergesangverein in Winsen zu seinem Dirigenten. An den
Sonnabendabenden wird geübt, und ab und zu schreibt der
junge Brahms eigens für diesen Chor Sätze nach eigenen
Ideen. |
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Er verabschiedet sich mit einem klingenden Geschenk,
dem Satz "Abschied von Winsen", als er 1848 in Winsen
seine Partituren
zusammenpackt und zurück nach Hamburg zieht. |
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Er, der nur eine bescheidene Schulbildung
besitzt, stürzt sich nun auf die romantische Literatur.
Novalis, Brentano, E.T.A. Hoffmann, Jean Paul sind seine Idole,
und diese romantische Linie schlägt sich auch in seinen
ersten Kompositionen nieder. Zeit seines Lebens hat die Literatur
Brahms nicht mehr losgelassen. Als seine Privatbibliothek vom
Nachlaßverwalter inventarisiert wird, stehen die Werke
von Goethe, Lessing, Lichtenberg, Cervantes, Boccaccio, Shakespeare,
Tieck, Byron und Keller in den Regalen. Die Liebe zur Literatur
dürfte in Winsen erwacht sein, genauer: in der Bibliothek
des damaligen Superintendenten Karl Heinrich Wilhelm Krause. |

Brahms Handschrift |
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1849 lernt Brahms den ungarischen Geiger Eduard
Reményi kennen. Er hat inzwischen ein respektables Repertoire
an eigenen Kompositionen geschaffen und beschließt, mit
dem neuen Freund auf Tournee zu gehen.
Sie startet - nach einem
abermaligen Erholungsurlaub - 1853 - in Winsen
und führt über
Lüneburg, Uelzen und Celle nach Hannover, wo der Pianist
und der Geiger sogar vor dem blinden König Georg V. von
Hannover spielen dürfen. |
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Für das Konzert in Lüneburg wünscht
sich der 20-jährige Johannes ausdrücklich, zunächst
nur vor einem ausschließlich männlichen Publikum
spielen zu dürfen: Das sei viel angenehmer ohne Damen,
soll er gesagt haben. Gegenüber dem
"schönen Geschlecht" muss er ein echter Spätzünder gewesen
sein. Deshalb darf auch bezweifelt werden, dass es zwischen ihm und Elise geknistert
hat - sogar über den zu Herzen gehenden Reimen über die Schöne
Magelone. Eine Bemerkung seiner zwei Jahre älteren Schwester, die wie seine
Jugendfreundin Elise heißt, lässt darauf schließen, dass Brahms
auch mit 20 noch ein Milchbart ist. Sie fragt: "Wie ist es denn mit Deinem
Bart? Der wird wohl schon recht lang. Bei diesem schönen Wetter wächst
alles gut!" |
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Frühsommer 1865: Vater Johann
Jakob eröffnet seinen Kindern, dass er sich scheiden lassen
will. Die Mutter leidet so daran, dass sie an einem Schlaganfall
stirbt. In dieser für Brahms kritischen Phase erreicht
ihn zudem die Nachricht, dass sein geliebter Freund und Gönner
aus Winsen das Zeitliche gesegnet hat. Zum Tode des väterlichen
Freundes Giesemann fragt Johannes seinen Vater: "Kannst
Du Näheres schreiben?" Insbesondere interessiert
ihn der Verbleib der Witwe. "Ob bei der Tochter",
will Johannes von seinem Vater wissen. |
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Geheiratet hat Brahms im Gegensatz
zu Elise nie. Einem Freunde gesteht er nach diversen geplatzten
Beziehungen: "Ich hab's versäumt. Als ich wohl Lust
dazu gehabt hätte, konnte ich es einer Frau nicht so bieten,
wie es recht gewesen wäre. In der Zeit, in der ich am
liebsten geheiratet hätte, wurden meine Sachen in den
Konzertsälen ausgepfiffen oder wenigstens mit eisiger
Kälte aufgenommen. Das konnte ich nun sehr gut ertragen,
denn ich wusste genau, was sie wert waren und wie sich das
Blatt schon noch wenden würde... Aber wenn ich in solchen
Momenten vor die Frau hätte hintreten, ihre fragenden
Augen ängstlich auf die meinen gerichtet sehen und ihr
hätte sagen müssen: "Es war wieder nichts' -
das hätte ich nicht ertragen!" |
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Der Flötenkreis Pattensen und
Martin Teske
2015 mit dem Konzert "Prater-Klänge" |
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Schnell spürt der Komponist, dass
ihm in Hamburg und überhaupt in Norddeutschland keine
große Karriere beschieden ist. So geht er im Spätsommer
1862 nach Wien. Dort treibt er sich in Schenken herum,
genießt die Wiener Volksmusik, die am Abend von fliegenden
Kapellen in den Kneipen geboten wird, übernimmt Teile
davon für seine eigenen Kompositionen, insbesondere
für die Ungarischen Tänze. |
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Er ist am Verlottern: Der feingeistige
Musiker erzählt derbe Witze, trinkt Kognak und raucht
türkischen Tabak, hängt der fatalistischen Philosophie
eines Schopenhauer nach. Steckt er auf diese Weise weg,
dass die Leitung der Hamburger Philharmonie nicht ihm,
sondern seinem Konkurrenten Julius Stockhausen angetragen
worden ist? Er leidet unter Heimweh, doch sein Stolz verbietet
ihm die Heimkehr. |
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Brahms wird bequem, als er
sich's leisten kann. Er pflegt einen festen Freundeskreis,
dem durchaus nicht nur Musiker angehören, sondern
beispielsweise auch der Mediziner Theodor Billroth. |
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Der Komponist ist in die Jahre
gekommen, da erreicht ihn eine schriftliche Bitte von seiner
Elise: Ob er die Ausbildung ihrer Tochter Agnes zur Sängerin
unterstützen könne. Brahms kann, denn er ist
nicht nur ein begnadeter Komponist, Dirigent und Pianist,
sondern auch ein guter Geschäftsmann: "Alles,
was drei Nullen hinter der Zahl trägt, beginnt mich
zu interessieren", hat er beispielsweise einem Musikverleger
signalisiert. So fällt ihm die Unterstützung
leicht, und er nutzt seine Kontakte für gute Lehrer. |
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Aus dem Vagabunden ist ein
behäbiger Bürger geworden, der allabendlich im "Roten
Igel" zu Wien seinen Dämmerschoppen nimmt, stets
die geliebte Zigarre im Mund, die in früheren Zeiten
sogar während des Klavierunterrichts qualmte und die
er vor dem Anzünden in Kognak getaucht hat. Der Komponist
ordnet seinen Nachlass. "Viel zerrissenes Notenpapier
habe ich zum Abschied von Ischl in die Traun geworfen",
schreibt er 1890. Nichts Unfertiges soll ein Gesamtwerk
belasten. Unter dem zerrissenen Notenpapier dürfte
sich auch sein Lied "Abschied aus Winsen" befunden
haben. |
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Noch kurz vor seinem Tode
am 3. April 1897 denkt der große alte Mann gerne
an seine karge, aber doch helle Jugend in Hamburg und vor
allem in Winsen zurück: "Und ich habe es doch
ganz gut vertragen; ja ich möchte dieses Zeit der
Dürftigkeit um keinen Preis in meinem Leben missen,
denn ich bin überzeugt, sie hat mir wohlgetan und
war zu meiner Entwicklung nötig." |
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"Ruhig in der Freude
und ruhig im Schmerz ist der wahrhafte Mensch", hat
Brahms einmal gesagt. Nur aus dieser inneren Abgeklärtheit
ist die Größe seines Gesamtwerkes zu erkennen.
Die Ruhe dazu hat er in Winsen kennen gelernt. In diesem
Sinne sollten wir Winsener uns auch verpflichtet fühlen
den Großen, die in unseren Mauern geweilt haben.
Einer davon ist Johannes Brahms. |
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Wir haben hier eine Musikschule.
Wir haben hier die großartige Kantorei St. Marien
und mit ihrem Leiter, Kreiskantor Reinhard Gräler,
einen vorzüglichen Orgelvirtuosen. Dank Ihres Lions
Clubs haben wir beste Kontakte zur kulturellen Nachwuchsschmiede
in Hamburg. Wir haben den Kultur- und den Heimat- und Museumverein.
Sollte es uns da nicht möglich sein, regelmäßige
Brahms-Tage zu veranstalten nach dem Vorbild von Würzburg,
wo alljährlich Mozarts gedacht wird, weil er in der
Stadt am Main für nur eine Stunde abstieg, um einen
Kaffee zu trinken? |
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Geschichte mit Klang und Leben
erfüllen: Das könnte nach der Enthüllung
der Brahms-Tafel eine neue Aufgabe für unsere schöne
Stadt sein. |
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