Brahms-Freundeskreis Winsen (Luhe) e. V.
 
Winsener Brahms-Woche
 
Die Brahms-Woche in Winsen
findet alle zwei Jahre statt!
 
       
 
 
 
 
 
   
   
   
Brahms-Portrait  
   
Impulse in Winsen, Seite 4
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von Martin Teske  
   
1858 hätte es den Komponisten nun doch beinahe erwischt: Gerade von Clara getrennt, neigt er sich Agathe Siebold zu. Die Göttinger Professorentochter hat er kennengelernt, als er gemeinsam mit Clara in der Universitätsstadt weilt. Clara reist beleidigt ab, als sie dieses Techtelmechtel sich anbahnen sieht. Es kommt zur Verlobung. Aber kaum sind die Verlobungsringe gewechselt, bekommt Johannes Brahms Angst vor der eigenen Courage.
   
Er schreibt an seine Angebetete: "Ich liebe Dich! Ich muß Dich wiedersehen! Aber Fesseln tragen kann ich nicht. Schreibe mir, ob ich wiederkommen soll, Dich in meine Arme zu schließen, Dich zu küssen, Dir zu sagen, daß ich Dich liebe." Er soll nicht wiederkommen, und einem Freunde gesteht er:" Da habe ich mich von meiner letzten Liebe losgemacht!"
   
Seiner nunmehr Verflossenen setzt er ein klingendes Denkmal im zehnten der "Zwölf Lieder und Romanzen für Frauenchor". Das Agathe-Motiv in der Alt-Stimme hat die Worte:
   
"Und gehst du über den Kirchhof
Da findest du ein frisches Grab;
Da senkten sie mit Tränen
Ein schönes Herz hinab.
Und fragst du, woran es gestorben,
Kein Grabstein Antwort gibt.
Doch leise flüstern die Winde:
Es hatte zu heiß geliebt."
   
Wie heiß er seine Schülerinnen in Hamburg, wo Brahms in den Jahren von 1859 bis 1862 immer wieder auftaucht, geliebt hat, verrät der Genießer nicht. Einem Freund gesteht er: "Ich bin hier und bleibe auch wohl hier, bis ich nach Detmold gehe. Einige sehr angenehme Schülerinnen halten mich und sonderlich auch ein Frauenverein, der unter meiner Leitung singt - bis jetzt nur, was ich ihm komponiere." Die Aufführungen finden in einem großen Garten in Eppendorf statt.
   
Bald merkt der Komponist, dass ihm in Hamburg keine große Karriere beschieden ist. So geht er im Spätsommer 1862 nach Wien. Dort treibt er sich in Schenken herum, genießt die Wiener Volksmusik, die am Abend von fliegenden Kapellen in den Kneipen geboten wird, übernimmt Teile davon für seine eigenen Kompositionen, ist am Verlottern: Der feingeistige Musiker erzählt derbe Witze, trinkt Kognak und raucht türkischen Tabak, hängt der fatalistischen Philosophie eines Schopenhauer nach. Steckt er auf diese Weise weg, daß die Leitung der Hamburger Philharmonie nicht ihm, sondern seinem Konkurrenten Julius Stockhausen angetragen worden ist? Er leidet unter Heimweh, doch daheim in Hamburg liegen sich die Eltern in der Wolle, die Ehe wird geschieden, Brahms hilft beiden finanziell, kehrt dann zurück nach Wien, denn dort ist ihm soeben das Amt des Chormeisters der Wiener Singakademie angeboten worden. Er nimmt an.
Julius Stockhausen 1859
 
Die Wiener Singakademie: Sie ist gegründet worden, weil die bestens etablierte "Gesellschaft für Musikfreunde" nach ihren Kritikern nicht genug für den Chorgesang getan hat. Als die Gesellschaft nun eine Konkurrenz auf sich zukommen sieht, gründet sie selbst einen Singverein und gibt ihm mit Johann von Herbeck einen blendenden Dirigenten.
 
Als solcher kann Brahms nun überhaupt nicht gelten. Er dirigiert in sich hinein und nicht publikumswirksam aus sich heraus, und - er hat oft eine Hand in der Hosentasche beim Dirigieren.
 
Angesichts dieser Macken des Chefs bröckelt der Chor, und als seine erste Amtszeit vorbei ist, gibt Brahms auf.
   
Er komponiert weiter - und gibt Klavierunterricht. Seine Schülerinnen werden zu Verehrerinnen, manche zu lebenslangen Freundinnen wie Elisabeth von Stockhausen (Elisabeth von Herzogenberg, geb. von Stockhausen, Pianistin, Komponistin, Sängerin und Mäzenin).
   
Brahms widmet sich nicht nur seinem eigenen Werk, er ordnet in Wien auch den Nachlaß von Franz Schubert, bearbeitet Mozarts "Requiem" für die "Kritische Gesamtausgabe" von Mozarts Werken bei seinem Musikverlag Breitkopf und Härtel. Als sein Freund und Kritiker Eduard Hanslick ihm zwei verschollene Jugendwerke von Beethoven schickt, kommt Brahms geradezu ins Schwärmen.
   
Früheren Werken widmet sich Brahms aus der Sorge heraus, daß Einmaliges verlorengehen könne. Er will die Kompositionen seiner Vorgänger nicht unbedingt drucken lassen - im Gegenteil: Das uferlose Drucken macht ihm geradezu Angst: "Das Drucken ist jetzt so sehr Mode geworden, namentlich das Drucken von Sachen, die dies gar nicht beanspruchen."
   
Von Elisabeth von Stockhausen war schon die Rede. Sie nimmt in den 70er Jahren Klavierunterricht bei Brahms, wird zu einer seiner größten Verehrerinnen und bleibt ihm auch nach ihrer Vermählung mit dem Freiherrn Heinrich von Herzogenberg verbunden. "Ich war entzückt von ihrem Talent und überrascht von ihren Fortschritten. Sie hatte den weichsten Anschlag, die geläufigste Technik, die rascheste Auffassung, das ungewöhnlichste Gedächtnis und den seelenvollsten Ausdruck im Spiel - mit einem Wort, sie war ein Genie. Dabei war sie wunderschön, klug, hochgebildet, edel und von bestrickender Liebenswürdigkeit im Umgange. Man mußte sich in sie verlieben." So schreibt einer ihrer früheren Lehrer über diese bemerkenswerte Frau. Brahms verliebt sich tatsächlich und bedankt sich für ihre Komplimente: "Haben Sie also besonderen Dank für das Labsal, das mir der liebe Brief war. Unterdrücken Sie aber nicht, was Sie mir Freundliches über meine Musik sagen können. Es tut doch immer wohl, gestreichelt zu werden, und die Menschen sind im allgemeinen stumm, die sie 'was zu nörgeln haben'." So schreibt er 1879, inzwischen 46 Jahre alt. Neun Jahre später, 1888, schickt er abermals einen Dank an seine Freundin: "Nochmals allerschönsten Dank, und wenn Sie etwa doch aus Güte den letzten Brief überzuckert haben sollten, so schicken Sie die Pfefferbüchse nachträglich Ihrem Johannes Brahms."
   
Brahms bleibt trotz höchster Komplimente aus dem Freundeskreis selbstkritisch. Längst zieht er in seinen Konzertreisen von Erfolg zu Erfolg, längst haben ihn seine Symphonien, seine Klavier- und Streichquartette, seine Ungarischen Tänze zu einem populären Komponisten gemacht. Die Verleger reißen sich um ihn, doch Brahms mißtraut ihnen zutiefst, fühlt sich immer finanziell von ihnen übers Ohr gehauen.
   
Er spricht von einem "leidigen Geldverhältnis, wie es zwischen Musikern und Verlegern leider noch üblich ist. Wir Musiker werden darin wie Kinder und Unmündige behandelt; wir wissen nicht im geringsten, was und wie eigentlich bezahlt wird. Ob wir beschenkt werden oder schenken, rauben oder beraubt werden." Seine Honorarvorstellungen sind wenig präzise: "Alles, was mit drei Nullen aufhört, fängt an, mir recht zu sein! Mit der Zahl vorne nehme ich's nicht so genau!"
   
Er kann es sich leisten, denn Brahms ist reich geworden. Nicht zuletzt dank seines Musikverlegers Fritz Simrock, mit dem Brahms befreundet ist. Trotzdem gelingt es nicht, ihm statt des Pauschalhonorares ein Beteiligungshonorar, also eine erfolgsorientierte Vergütung, abzutrotzen.
 
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